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"Das hat uns irgendwie gereizt"
Wie ein Gärtner im Ruhestand plötzlich zum Energiepflanzen-Pionier wird und ein Landwirt spontan mitmacht...
Eine kalte Winternacht im Taubertal.Die Scheiben der Autos sind vereist, das Thermometer steht bei minus 13 Grad. Niemand ist auf der Straße, es ist still. Da geht plötzlich in einer Gärtnerei in Unterbalbach das Licht an. Es ist Richard Schreiber, Doktor der Gartenbauwissenschaften und Gärtner aus Leidenschaft.
Er steht in seinem Gewächshaus und schaut nach den jungen Pflanzen und vor allem nach der Temperatur im Raum. Schreiber ist 73 Jahre alt und es ist inzwischen vier Uhr morgens. Sein Rollator hat ihm den Weg vom warmen Bett ins kalte Gewächshaus erleichtert.
Eigentlich hätte er sich die nächtliche Tortur sparen können, denn ob die Pflanzen im richtigen Klima gedeihen, kann er auch vom Schlafzimmer aus verfolgen, ein Thermometer mit Funksensor ist vom Bett aus immer in Sichtweite. Aber das reicht nicht, er muss ganz sicher gehen, schauen, ob nicht doch die Heizung ausgefallen ist. „Die Dinger stehen noch“, denkt er sich schließlich und legt sich beruhigt ins Bett. Wenn es morgen auch so kalt ist, kommt er wieder.
„Wenn man die Dinger in die Welt gesetzt hat, muss man sie behandeln wie Kinder“, sagt Schreiber. Die „Dinger“ heißen eigentlich „Silphium perfoliatum“, werden aber der Einfachheit halber auch „Durchwachsene Silphie“ genannt.
Seit über 60 Jahren beschäftigt sich der Botaniker mit Pflanzen aller Art, aber die „Durchwachsene Silphie“ ist ihm nie zuvor begegnet – bis zum Herbst vergangenen Jahres. In einem Zeitungsartikel liest Schreiber von einem Projekt der Bioenergie-Region Hohenlohe-Odenwald-Tauber. Die „Durchwachsene Silphie“, so steht es in dem Bericht, soll auf Versuchsfeldern großflächig angebaut werden. Sie stammt aus Nordamerika, wird etwa zwei Meter hoch und ist vor allem als Energiepflanze interessant, weil sie einen hohen Biomasseanteil hat.
„Das hat mich irgendwie gereizt“, sagt der Gärtner im Ruhestand heute. Er greift zum Telefon und wählt die Nummer der Geschäftsstelle der Bioenergie-Region H-O-T. Dort hilft man Schreiber weiter. Der 73-jährige bemüht sich um Samen. „Die waren kaum zu bekommen und sauteuer“, sagt Schreiber. Schließlich sammelt er bei eisigen Temperaturen stundenlang auf einem kleinen Versuchsfeld der Bioenergie-Region in Rosenberg (Neckar-Odenwald-Kreis) die Samen der Pflanze auf.
Ein paar Wochen später klingelt bei der Bioenergie-Region H-O-T wieder das Telefon, wieder ist es der Gärtner aus Leidenschaft. „Sie müssen unbedingt vorbei kommen“, sagt Schreiber, „ich habe 5.000 Pflanzen, ein ganzer Gewächshaustisch ist voll!“ Mühevoll war das Pikieren, jede einzelne wurde mit einem Stift in einen eigenen Topf gepflanzt. Nicht jeder ist von der Pflanzenpracht im Gewächshaus begeistert, vor allem nicht, wenn man den Platz braucht, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
So wie Schreibers Sohn Sebastian, der die Gärtnerei des Vaters vor Jahren übernommen hatte. „Da hat der Opa wieder seinen Kopf durchgesetzt und innerbetrieblich für Ärger gesorgt“, sagt der 73-jährige mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Schließlich einigt er sich mit seinem Sohn, dass die Setzlinge bald gepflanzt werden.
Ein Abnehmer für die 5.000 Pflanzen findet sich schließlich in Grünsfeld im Main-Tauber-Kreis. „Ich habe schon so viele Sachen ausprobiert, da kommt es darauf nicht an“, sagt Landwirt Lothar Derr. Tatsächlich hat die Lust am Experimentieren dem 50-jährigen neben zwei landwirtschaftlichen Betrieben auch eine Biogasanlage beschert.
Die hat bisher hauptsächlich Maispflanzen in Energie umgewandelt, doch das könnte sich jedoch bald ändern: Die 5.000 Pflanzen aus dem Gewächshaus in Unterbalbach wurden Mitte April 2010 auf ein Feld in der Nähe der Biogasanlage angepflanzt.
Ob die „Durchwachsene Silphie“ tatsächlich den Mais aus der Biogasanlage verdrängt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Anders als beim Mais müsste dann nicht mehr Jahr für Jahr neu ausgesät werden, die Pflanze bleibt bis zu 15 Jahre stehen.
„Der Acker ist so das ganze Jahr unter Bewuchs“, freut sich Derr. Obendrein ist die Silphie auch bei den Bienen sehr beliebt - erste Anfragen von Imkern gibt es schon. Der Landwirt ist durchaus optimistisch: „Das probieren wir jetzt aus und dann sehen wir, was dabei rauskommt!“